ZUR PERSON
M. Höfler
Michael Titze, Jahrgang 1947, ist Psychoanalytiker, Psychotherapeut
und Gründungsvorsitzender von HumorCare Deutschland-Österreich. Er
beschäftigt sich seit rund 30 Jahren mit der Lachforschung (Gelotologie)
und gilt als Initiator der Erforschung der Gelotophobie, der Angst vor
dem Lachen. Titze schwört auf die gesundheitsfördernden Auswirkungen des
Yoga-Lachens, das in Lach-Clubs praktiziert wird. Er hat immer eine CD
mit lautem Lachen im Auto - die hebt die Stimmung im Stau. Michael Titze
lebt und arbeitet in Tuttlingen.
- Hompage Michael Titze
- Homepage Humorcare Deutschland Österreich
SPIEGEL ONLINE: Herr Titze, wie oft haben Sie heute schon gelacht?
Titze: Heute noch nicht so viel, weil ich vergrippt bin. Da vergeht einem das Lachen (lacht).
SPIEGEL ONLINE: Liegen Sie jetzt zu Hause im Bett und lachen vor sich hin, um wieder gesund zu werden?
Titze: Später gibt es sicher Gelegenheit zu lachen. Da schaue ich
mir noch einen Slapstickfilm an. Die Lachforschung, die Gelotologie,
fing übrigens so ähnlich an.
SPIEGEL ONLINE: Wie meinen Sie das? Mit Comedy-Filmen?
Titze: So in etwa. Der Wissenschaftsjournalist Norman Cousins
begann vor rund 40 Jahren seine Wirbelarthritis selbst mitzubehandeln -
mit lustigen Filmen und regelmäßigen Lachanfällen. Er stellte fest, dass
er nach zehn Minuten Lachen am Stück eine Stunde schmerzfrei war.
Cousins wurde wieder gesund und veröffentlichte das Buch: "Der Arzt in
uns selbst". Das war die Initialzündung der Lachforschung.
SPIEGEL ONLINE: Ist denn wissenschaftlich nachgewiesen, dass Lachen gesund ist?
Titze: Das ist erwiesen. Lachen ist Herztraining. Es wirkt sich
vor allem positiv auf das Herz-Kreislaufsystem aus. Stresshormone werden
abgebaut, Verbrennungsprozesse gefördert, das Immunsystem gestärkt.
Durch das vermehrte Einatmen wird mehr Sauerstoff transportiert,
Herzschlag und Blutdruck sinken. Genauso wie man Joggen geht, sollte man
regelmäßig lachen.
SPIEGEL ONLINE: Kinder lachen angeblich weitaus häufiger als Erwachsene. Verlernen wir das Lachen mit dem Alter?
Titze: Wissenschaftlich ist es nicht eindeutig nachgewiesen, dass
Kinder mehr lachen als Erwachsene, aber trotzdem ist wohl allen klar,
dass Kinder einen anderen Zugang zur Welt haben. Sie leben nach dem
Lustprinzip. Was ihnen Lust bereitet, machen sie gerne, was Unlust
bedeutet, wird vermieden. Der Erwachsene lernt, solche Gefühle zu
unterdrücken.
SPIEGEL ONLINE: Man könnte trotzdem als Erwachsener mehr lachen. Das ist nicht verboten.
Titze: Das nicht, aber Lachen ist zum Teil sozial unerwünscht.
Wenn sich ein Vorgesetzter etwa unfreiwillig komisch verhält, wäre es
nicht angebracht laut loszulachen. Eventuell würde das negative
Sanktionen nach sich ziehen. Deswegen kontrollieren erwachsene Menschen
spontane Gefühle, und dazu gehört eben auch das Lachen.
SPIEGEL ONLINE: Lachen ist also nicht nur positiv besetzt.
Titze: Es symbolisiert Freude, Wohlbefinden, aber auch
Überlegenheit. Kinder machen sich zunächst überhaupt keine Gedanken, was
Lachen bedeutet. Es ist ein Ausdruck von Freude, aber sie lernen
schnell, dass manche Menschen Lachen als Waffe einsetzen. Sie verspotten
andere oder transportieren negative Informationen über Gelächter. So
entsteht eine Skepsis gegenüber dem Lachen. Das Lachen der anderen wird
immer bewertet.
SPIEGEL ONLINE: Die Deutschen gelten ja nicht gerade als große Lach-Typen. Ist das so?
Titze: Deutschland zählt wie etwa Japan zu den
Kontrollgesellschaften. Durch die starken gesellschaftlichen Zwänge
entstehen schneller Scham und Schuld. In solchen Kulturen gibt es
übrigens relativ viele Suizide.
SPIEGEL ONLINE: In vielen Ländern wirkt herzhaftes, lautes Lachen als rüde oder beleidigend.
Titze: Es gibt eine weltweite Studie über die Gelotophobie, die
Angst
vor dem Lachen. Demnach leiden rund zwölf Prozent der Deutschen
darunter. In manchen Kulturen in Ostasien oder dem nahen Osten haben zum
Teil um die 60 Prozent der Menschen einen negativen Bezug zum Lachen.
In Skandinavien oder Südamerika dagegen hat man demgegenüber ein sehr
positives Bild vom Lachen. Man weiß auch, dass aggressive Jugendliche
fast immer traumatische Erlebnisse mit dem Lachen in der Kindheit
erfahren haben. Untersuchungen über
Amokläufer haben gezeigt, dass sie im Vorfeld in der Regel verspottet, gemobbt oder lächerlich gemacht wurden.
SPIEGEL ONLINE: Woran erkenne ich echtes Lachen?
Titze: Gekünsteltes Lachen dient als soziales Schmiermittel. Man
will Sympathie kommunizieren, eine Unterhaltung anregen. Beim echten,
gesundheitsfördernden Lachen ändert sich immer die Atmung: Man atmet
tief ein und atmet stoßweise aus. Außerdem erkennt man echtes Lachen
zuverlässig an den "Krähenfüßen", die sich um die Augenwinkel bilden.
SPIEGEL ONLINE: Kann Lachen Krankheiten heilen?
Titze: Es ist ganz klar ein günstiges Mittel zur Erhaltung der
Gesundheit. Wer regelmäßig ausgiebig lacht, wird statistisch gesehen
älter und weniger krank. William Fry, der Begründer der Gelotologie,
pflegte zu sagen: "Lachen ist Joggen im Sitzen." Man hat herausgefunden,
dass
20 Kilometer Joggen
ähnliche Veränderungen im Blut nach sich zieht wie eine halbe Stunde
herzhaftes Lachen am Stück. Laufen und Lachen sollten also im Hinblick
auf die allgemeine Gesundheitserhaltung eine ähnliche Wertigkeit
erhalten.
SPIEGEL ONLINE: Kann man trainieren, mehr zu lachen?
Titze: Absolut. In
Lach-Clubs
kann man Lachen üben. Das ist wie bei anderen Sportarten auch. Anfangs
sind die meisten verkrampft, aber nach einer Weile verfallen sie in
dieses bedenkenlose, frenetische Lachen und vergessen alles um sich
herum.
SPIEGEL ONLINE: Echtes Lachen funktioniert nur dann, wenn der Kopf ausgeschaltet wird?
Titze: Genau. Das Lachen besteht aus einem Lach-Netzwerk. Es gibt
die kognitive, die emotionale und die körperliche Komponente. Und ganz
egal, ob das Lachen durch einen Witz, ein freudiges Gefühl oder eine
körperliche Aktion wie Kitzeln aktiviert wird, es wirkt sich immer aufs
ganze System aus. Man ist dann regelrecht gefangen im Lach-Netzwerk.